Feiern bis der Arzt kommt

Wenn man an exzessive Parties, Alkoholleichen und Heimtorkeln im Morgengrauen denkt, dann verbindet man das mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mit China. Um es vorwegzunehmen: zurecht. Man könnte das Drama auch etwa so definieren: Immer, wenn mehr als drei Personen abends zusammensitzen und möglicherweise sogar Alkohol trinken, ist das bereits eine zünftige, chinesische Party.

So traurig das auch klingt, es ist noch nicht mal eine Übertreibung. Die erste Stilblüte ereignete sich kurz nach unserer Ankunft. Wir waren abends zusammen mit den Schweden in der Fußgängerzone des Campus gesessen und hatten etwas am Bier geschnuppert. Nichts ungewöhnliches für europäische Verhältnisse, jeder zwei, drei Halbe getrunken, etwas unterhalten, gelacht, und um Mitternacht vielleicht langsam Richtung Wohnheim gewandert. Tags darauf kommen wir mit irgend einem Chinesen ins Gespräch. Und weil es doch ein nicht unwichtiges Thema ist, fragen wir ihn auch, ob es hier auf dem Campus so etwas wie Studentenfeiern gäbe. Jaaaa, da hätte er gestern erst eine gesehen, da wären ein paar Auslandsstudenten in der Fußgängerzone gesessen und hätten so richtig, richtig abgefeiert… Aha, so nennt man das hier also, dachten wir uns leise, und die ersten Zweifel am chinesischen Partyverständnis machten sich bemerkbar.

Wir haben mittlerweile auch festgestellt, dass der gemeine Chinese wirklich so wenig verträgt, wie man in Deutschland munkelt. Die meisten bekommen bereits nach ein, zwei kleinen Pappbechern rote Bäckchen, und streichen dann spätestens nach der ersten Halben die Segel. Sogar das berüchtigte Tongji Drinking Team schafft nicht viel mehr als eine Maß. Der clevere Trinker erkennt hier eigentlich großes Potential für kostengünstige Volksbelustigung und Abstürze aller Art, allerdings scheint hier keinem daran zu liegen, wie ich vorgestern erfahren durfte.

Da war nämlich eine groß angekündigte Tanzparty, richtig mit Aushang auf dem halben Campus, und jeder hatte im Vorfeld schon davon gehört. Es musste sich also offensichtlich um ein Event vom Kaliber Rommel-Sommerfest oder Südmensaparty handeln. Das einzige was bei uns mal wieder die Alarmglocken läuten ließ, waren die einzigen drei Zeichen, die wir auf dem Aushang entziffern konnten: 18.00-21.00. Sollten das etwa die Öffnungszeiten sein?? Welche vernünftige Party beginnt schon um 18.00? Oder endet gar bereits drei Stunden später? Unsere besorgte Nachfrage wurde beschwichtigend beantwortet. Es handle sich da nur um offizielle Zahlen. Die Party könne durchaus auch bis um 22.00 gehen… Wir waren ungemein beruhigt.

Trotz all der düsteren Vorzeichen war ich dann mit Jimmy vorort. Als wir um 19.00 ankamen, war der Raum gut gefüllt und die Musik soweit in Ordnung. Der erste Schock ereignete sich allerdings, als wir auf unserer Suche nach Alkohol an der Bar die lapidare Auskunft bekamen, dass es hier nur Wasser gäbe. Da half es dann auch nichts mehr, dass uns die kichernden Bedienungen die Flasche Wasser augenzwinkernd geschenkt haben. In regelmäßigen Abständen wurde die Partyatmosphäre durch Flutlicht zerstört, und ein Animateurspärchen versuchte, ein paar Tanzschritte zu erklären. Anschließend schnappte man sich die nächstbeste Chinesin und stellte sich brav auf.

Man sollte sich hier aber nicht täuschen lassen. Mit tanzen, so wie man das von uns kennt, hat das hier nämlich nichts zu tun. Wir sind hier in China, und hier geht es schließlich züchtig zu. Tanzen könnte man hier besser übersetzen mit Händchenhalten bei einem Meter Abstand und dabei die Füße mal von rechts nach links zu stellen, und umgekehrt. Tanzen mit Körperkontakt? Gott bewahre! Und so war dann auch mein improvisierter Walzerkurs nur bedingt von Erfolg gekrönt, nachdem ich beschlossen hatte, mich der hiesigen Tanzkultur nicht anzupassen. „You know, I’m a Chinese girl… I’m not like that.“ Wie was dann, zum Teufel! Ich konnte es nicht mehr hören, mir bluteten die Ohren. Die Studentinnen hier am Campus scheinen sogar für chinesische Verhältnisse ziemlich prüde zu sein. Das Ende der Veranstaltung wollten wir dann auch nicht mehr abwarten. Unser Stammplatz in der Fußgängerzone wartete schon – zum richtig, richtig abfeiern. Aber das hatten wir ja bereits.