Der mit dem Elch spricht

Es klopft an der Tür. Von draußen dringt in einem kantigen Deutsch, wie man es höchstens aus schlecht vertonten Weltkriegsshootern kennt, ein markiges „Kommen Sie hier!“ an mein Ohr. Vermutlich hat mein Zimmernachbar Jimmy mal wieder irgendetwas ausgeheckt.

Im Gang direkt gegenüber haust nämlich schon seit unserem Einzug eine ganzer Haufen schwedischer Studenten der Universität Uppsala. Die Bande bestehend aus Nil, Arin, Morgan und Jimmy sind sehr angenehme Zeitgenossen. Das einzige Manko besteht darin, dass sie nicht weiblich sind, bzw. dass sie es versäumt haben, hier einige blonde Schwedinnen mitzubringen. Davon mal abgesehen, können wir uns allerdings kaum bessere Nachbarn vorstellen. Von mehr oder minder exzessiven Trinkgelagen bei der wöchentlichen „English Corner“ bis hin zu StarCraft-Sessions und Shoppingtouren ergeben sich allerlei gemeinschaftliche Aktivitäten. Auch ihrem Chinesischkurs hab ich mich mittlerweile angeschlossen.

Nil sieht dank thailändischer Abstammung dabei am wenigsten Schwedisch aus und scheint, nachdem er sich kürzlich einen original chinesischen Topf-Haarschnitt hat verpassen lassen, bereits gegen seinen Willen völlig von der chinesischen Umgebung assimiliert zu sein. Das sehen wohl auch die Einheimischen so und versuchen jedesmal aufs Neue, mit Nils Chinesisch zu reden. Darin macht er allerdings große Fortschritte und beeindruckt uns regelmäßig mit neuen Wörtern und korrekter Aussprache, so dass ihn sogar die Chinesen verstehen. Abgesehn davon ist er ein großer Converse-Schuh-Fan. Gegen letztere hat er kürzlich beim Einkaufen sogar seine geliebten Badelatschen ausgetauscht. Als Freund ungewöhnlicher Ideen hatte er sich als zusätzliche Diebstahlssicherung ein Fahrrad in Quietschpink angeschafft. Ein geschmackloser Chinese hat sich davon aber trotzdem nicht abschrecken lassen, und so ist er seitdem zusammen mit Arin stets auf Rollerskates unterwegs.

Arin erklärt Nil wie man richtig StarCraft spieltAuch Arin wirkt dank südländischem Einfluss nicht unbedingt Schwedisch. Er ist regelmäßiger Gastgeber unserer abendlichen StarCraft-Sessions und unglücklicher Windows-Vista-Besitzer. Irgendwie hat er es auch als einziger geschafft, hier seinen dicken Desktop-Rechner anzuschleppen. Nebenbei ist er noch Hobbykameraman, -filmproduzent und -cutter in einem. Sein neuestes Werk präsentiert Jimmy halbnackt am Strand posierend und ist wahrscheinlich für irgendeine chinesische Partnervermittlung gedacht.

Morgan verpeilt mit TeeSo stellt man sich dagegen einen richtigen Schweden vor: Groß, kräftig, blond, blauäugig, kantige Gesichtszüge. Morgan erfüllt das Cliche bis ins Detail. Wie er sich dem hiesigen Basketballfanatismus bisher entziehen konnte, ist mir ein Rätsel. Er müsste sich eigentlich nur unter den Korb stellen, Pässe fangen und den Ball sanft in den Korb legen. Um seine StarCraft-Fähigkeiten ranken sich diverse Legenden. Man munkelt davon, dass er wohl schon beeindruckende sieben Computergegner gleichzeitig dahingerafft hätte. Auf unseren Sessions hat er sich bisher allerdings noch nicht blicken lassen. Abgesehen davon spricht er auch noch richtig gut Deutsch, während das der anderen eher für Erheiterung sorgt.

JimmyUnd zuletzt wäre da noch Jimmy. Auch er ist groß und blond und genau wie Morgan ein Blickmagnet im schwarzhaarigen Menschenmeer Chinas. Er stammt aus einem Drei-Einwohner-Dorf im letzten Eck von Schweden, etwa von dort wo sich nicht mal mehr Elch und Bär gute Nacht sagen. Einen Kulturschock scheint er hier im 20-Millionen-Moloch Shanghai jedoch erstaunlicherweise bisher nicht bekommen zu haben. Er hat sich sogar die Verantwortlichkeit für den neu gegründeten May(flower)-Club zuschachern lassen, der Sprachlernwillige aus Ost und West näher zusammenbringen soll, und zeigt sich federführend bei der Organisation der schwedischen Gesangsperformance auf dem Google-Camp, bei dem wohl einige zukünftige Programmierer geworben werden sollen.

Soweit zu unseren Nachbarn. Ansonsten wäre von meiner Seite noch hinzuzufügen, dass ich jetzt endlich ein Thema für meine Studienarbeit gefunden habe. Ich werde die nächsten Monate hier zusammen mit dem Robocup-Team der Tongji Universität Sonys bekannte Aibo-Roboterhunde programmieren und vorraussichtlich eine XML-Struktur zum schnelleren Update von Parametern implementieren. Das Thema kommt mir sehr entgegen und die Leute und die Umgebung im Lab sind auch sehr angenehm. Was lange währt, wird also endlich gut.

Ach ja. Beim Basketball hab ich heut mal wieder einen Ellenbogen zwischen die Zähne bekommen. Aber daran bin ich ja schon langsam gewöhnt.

Ein Gedanke zu „Der mit dem Elch spricht

  1. hey!! ihr habt das gut dort!!
    Nicht so viele mädels klar machen, sonst geht ihr in den knast 😉
    viel spass noch
    schöne grüsse aus erlangen(noch)

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